…oder nennen wir es besser: einige mehr oder weniger unstrukturierte Gedanken und Beobachtungen.
Von Thomas Broich habe ich zum ersten mal zu Beginn seiner Karriere in einem Fußball-Forum erfahren. Ein ebenfalls dort angemeldeter Burghausen-Fan (ja, gibt es wirklich) schwärmte in höchsten Tönen von diesem jungen Mittelfeld-Juwel, das damals für Wacker die Regionalliga durcheinander wirbelte.
Broichs erste Ausrufezeichen in der 2. Bundesliga habe ich auch noch mitbekommen. Dass er danach in Mönchengladbach neben „Frank Fahrenhorst(!!!), Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski“ (Verständnis-Apparat Johannes Bekerner) als einer der großen Hoffnungsträger des deutschen Fußballs galt, aber irgendwie nicht. Oder ich habe das mit zunehmender Verkalkung nicht mehr so auf dem Schirm, kann natürlich auch sein.
Zudem kommt nun einmal vor, dass vormals hoch gehandelte Jungstars nicht den absoluten Durchbruch schaffen. Den ersten großen Karriereknick unter Dick Advocaat samt Verbannung in die zweite Mannschaft habe ich daher überhaupt nicht, sein langsames Verschwinden aus dem Fokus höchstens am Rande registriert.
Das Hauptmotiv des Films, Thomas Broich als tragischer Misfit im knallharten Bundesligageschäft, war für mich bei der ersten Beschäftigung mit dieser Langzeitdoku völlig neu.
Den Spitznamen Mozart – retrospektiv betrachtet eher Fluch als Segen – habe ich, naiv wie ich bin, seiner Jugendlichkeit, seiner Filigranität und seinem Esprit zugeschrieben. Tatsächlich stammt er von einem klassikuninteressierten Mitspieler. Wie profan.
Summa summarum werfen diese ganzen Wissenslücken und Fehlannahmen eine große Frage auf: Konsumiere ich zu wenig oder zu viele Boulevardmedien?
Kein Film von Traurigkeit
Von 2003 bis 2011 begleitete Regisseur Aljoscha Pause die Karriere von Thomas Broich, reiste um den halben Erdball und sprach mit Dutzenden Weggefährten. Herausgekommen sind über 100 Stunden Rohmaterial, die der Filmemacher begleitet von der fantastischen Musik von Roland Meyer de Voltaire zu einer intensiven Charakterstudie verdichtete.
Die Längen, die Tom meets Zizou gemäß einiger anderer Rezensionen haben soll, konnte ich so nicht ausmachen. Wenn, dann wurde höchstens Broichs Premierensaison in der ersten Liga etwas zu erschöpfend beleuchtet. Langeweile kam während der gut zwei Stunden aber nie auf. Zu unverblümt, offen und bisweilen auch überraschend humorvoll sind die Statements von Broich selbst und den anderen Interviewten. Etwa, wenn die noch immer sehr stark im bayrischen Idiom gefangene Ex-Freundin zu Wort kommt und so gar nicht das Bild der typischen Spielerfrau verkörpert; oder Broichs Trainerkumpel Micheal Oenning, dem irgendjemand vielleicht mal ein Taschentuch hätte reichen sollen.
Die meisten Lacher gingen allerdings eindeutig auf das Konto von Berti Vogts, der, ganz offensichtlich ein wenig neben sich stehend, den jüngsten Auftritt von U-21-Kapitän Broich gleich mehrfach mit „Boah! Das ist ein guter Spieler.“ adelt.
Schlüsselszene und gleichzeitig eindringlichster Blick auf Broichs Naturell? Oder einfach nur Zufall? Ich weiß es nicht, aber die Minuten unmittelbar nach dem Gewinn der Australischen Meisterschaft haben es auf jeden Fall in sich. Denn selbst im Moment des großen Triumphes gelingt es Broich nicht, im Kollektiv der jubelnden Mannschaftskameraden abzutauchen; stattdessen wandelt der inzwischen 30-Jährige gedankenverloren, fast schon beckenbaueresk über das Spielfeld und wischt sich noch während der laufenden Siegerehrung den Glitter als materialgewordenen Erfolg von den verschwitzten Armen.
Broich is Ultra
Thomas Broich lässt wenig Zweifel daran, dass sein früheres Image, die Inszenierung als ständig bücherlesender Schöngeist, zumindest teilweise nicht unbedingt seinem Wesen entsprochen hat und eher ein Produkt der eigenen Unangepasstheit war. Weil Broich diese Umstände reflektiert, ohne sie zu verleugnen oder sich total ändern zu wollen, weil er auch ansonsten äußerst sympathisch und entwaffnend ehrlich rüberkommt, strahlt Aljoscha Pauses Portrait eine außergewöhnliche Wahrhaftigkeit aus.
Außerdem bleibt die Erkenntnis, dass der Bundesliga mit ihrem Heer von mediengeschulten Viertelintellektuellen mit Gesamtschul-Abi ein Typ wie Thomas Broich einfach fehlt. Seine Pässe tun es sowieso.
Fazit
Großartig. Wer sich auch nur ein bisschen für die Hintergründe des Spiels interessiert und die Möglichkeit hat (>>Termine), den Film in seiner Nähe im Kino zu sehen, sollte diese wahrnehmen. Alle anderen sparen für die sicherlich irgendwann erscheinende DVD.
Infos
Regie: Aljoscha Pause
Verleih: mindjazz pictures
Buch / Idee: Aljoscha Pause
Schnitt: Anne Pannbacker
Kamera: Robert Schramm, Martin Nowak, Jochen Wagener u.a.
Musik: Roland Meyer de Voltaire
Sprecher: Josef Tratnik
Produktion: Aljoscha Pause, Hans-Peter Klein, Filmworks
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Habe heute die Docu gesehen und war fasziniert über die Möglichkeit über diesen „Umweg“ hinter die Kulissen der Bundesliga zu schauen. Ich finde es toll, dass „Mozart“ es geschafft hat – wenn auch später als andere Jugendliche – seine Pupertät auszuleben und wohl auch dadurch wieder Spass am Fußball gefunden hat. Andere wären vielleicht innerlich zerbrochen oder in der Versenkung verschwunden. Den Machern des Films ein Kompliment!